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Interview mit Ziel 100 (Matthias Gustke)
Wo antwortest du mir gerade auf das Interview?
Ich sitze im Keller von meinem Haus, in dem mein Studio und mein Büro untergebracht sind. Gestern nacht ist von meinem Bürostuhl die Lehne abgebrochen, weshalb ich auf einem ziemlich unbequemen Stuhl sitze und schon seit gut und gerne 2 Stunden Emails beantworte.
Wie bist du auf deinen Künstlernamen Ziel 100 gekommen?
Ah, das ist so eine langweilige Frage, weil ich sie schon bestimmt hundert mal gefragt wurde. Ich mein, es ist klar, dass der Name die Frage aufwirft, aber es nervt mich langsam. Ich hatte mir mal vorgenommen, immer eine andere Geschichte zu erzählen, aber selbst das macht es nicht interessanter! Die Geschichte ist einfach: Alter Graffiti Name, der irgendwann mal auf einem Flyer stand und dann wie Pech und Schwefel an mir hing. Bis heute…
Wann hast du die Liebe zur elektronischen Musik entdeckt?
Meine Schwester, die 4 Jahre älter ist als ich, hat in den 80ern Depeche und ähnliches gehört. Ihr damaliger Freund hatte dann immer alle aktuellen Maxis, die er mir aufgenommen hat. Z.b. Shannons let the music play oder Paul Hardcastles 19. Seit dem habe ich schon immer elektronische Musik gehört. Aber nie ausschließlich. Ich habe über viele Jahre hauptsächlich Rap gehört…
Hast du schon mal eine andere Musikrichtung aufgelegt?
Naja, halt eben Rap. Ich sage absichtlich Rap, weil mit dem, was heute HipHop genannt wird, habe ich nix am Hut. Eher so Sachen wie Public Enemy, Mantronix oder Schooly D. im Grunde genommen ist das nichts anderes als Electro gewesen. Mit Rap. Ich denke, Electro ist und bleibt der rote Faden in meiner DJ Karriere.
Hast du ein Vorbild?
Sicherlich. Aber eher nicht im bezug auf DJing, eher auf menschlicher Basis. Und dann auch nicht Ghandi, sondern eher Leute in meinem Umfeld, die ich für ihre Menschlichkeit hoch achte. Man muss im DJ Zirkus schon selbst seinen eigenen Weg finden. Ok, so jemand wie Hell ist einfach ungeheuerlich imposant und in gewisser Weise vertritt er das, was ich gut finde, im großen Stile und international. Als DJ habe ich aber ein ganz gesundes Selbstbewusstsein und richte mich nicht nach anderen. Stilumschwünge, wie man es gerne mal bei vermeintlichen TopDJs hört, wird man vermutlich nicht bei mir erleben. Ich finde die DJs, die das spielen, was gerade in ist, furchtbar auswechselbar und schwammig wie eine Qualle.
Was machst du eigentlich hauptberuflich? Ist das Auflegen nur ein Nebenjob?
Ich bin hauptberuflich DJ und Produzent. Ich schreibe noch ein wenig für diverse on und offline Magazine und betreue für Ecler - die Mischpultfirma - einige Projekte.
Wie lange legst du schon auf? Und wann kam der Erfolg? Wie hat es sich bemerkbar gemacht?
Ich habe mir 1988 Technics gekauft. Ich habe auch schon vorher auf Plastikplattenspielern aufgelegt und die Stereoanlage meiner Eltern bei den ersten Scratchversuchen gelyncht. Der Erfolg kam dann schleichend. Irgendwann konnte ich nur noch Montag bis Donnerstag arbeiten, danach nur noch Dienstag und Mittwoch. Und irgendwann machte ein „normaler“ Job keinen Sinn mehr. Das Auflegen und was noch dazu gehörte war einfach, ohne dass ich es darauf angelegt hätte, zu groß für einen Nebenjob geworden.
Was für Musik hörst du privat am liebsten?
Das ist ganz unterschiedlich und geht von ruhigen Sachen wie z.B. Lilli Allen bis zu Indie wie den Arctic Monkeys und Hard-Fi. The Streets finde ich grandios und ich höre auch wegen meiner Tochter gerne mal den „Kika Tanzalarm“. Mit echter Freude! Da gibt es ernsthaft gelungene Lieder! Ich höre unter der Woche weniger Elektronic, weil ich die Musik jedes Wochenende 15 Stunden höre. Wenn ich unter der Woche noch elektronisches hören würde, könnte mich das Wochenende musikalisch langweilen. Durch die Abstinenz unter der Woche freue ich mich jedes Wochenende auf die Musik…
Wie würdest du deinen Musik Style bezeichnen?
Electro in allen Spielarten. Electro, electrohouse, electrotechno. Mal etwas härter, mal etwas minimaler. Ich kaufe und spiele, was mir gefällt. Die meisten Leute sagen dann dazu Electro. Damit gehe ich konform.
Was willst du mit deiner Musik ausdrücken?
Naja, eine tiefere Message gibt es da nicht. Ich bin ja auch in der Hauptsache jemand, der Musik von anderen Leuten einem Publikum vorspielt. Die Produzenten haben da vielleicht eine Message. Ich als DJ eher nicht. Ich kann da ja nur ein Forum bieten und den Leuten das anbieten. Sie fressen es - oder nicht. Ich will mit den Leuten einfach eine gute Zeit haben. Deshalb ist es mir auch wichtig vor meiner Playtime vor Ort zu sein, um zu überlegen, wie ich den Leuten da jetzt musikalisch noch eins mehr auf die Mütze geben könnte. Ich bin mir da für nichts zu schade, ich will denen einfach eine Abfahrt bieten, die sie nicht so schnell vergessen. Von der Haltung her würde ich mich eher als Punk oder lockeren Typen bezeichnen. Ich unterhalte mich mit jedermann, mache was ich will und versuche die Punkattitüde - scheisst auf alles (für ein paar stunden!) - den Leuten näher zu bringen.
Wo hältst du dich abends am liebsten auf?
Ich lege ca. 110-120 x im Jahr auf. Ich habe echt genug Trubel um die Ohren und gehe unter der Woche eigentlich so gut wie nie weg. Ok, wenn es schöne Konzerte gibt, dann gehe ich auch mal mit meiner Frau aus. Aber ich bin nie in Bars, Kneipen oder Clubs, wenn ich nicht auflege. Ich bin also unter der Woche abends erst in meiner Küche zu finden (wo ich wirklich leidenschaftlich gerne koche) und danach auf der Couch vor meinem neuen LCD Fernseher. Wenn viel zu tun ist, bin ich auch mal ganz gerne bis früh morgens im Studio. Aber das ist die Ausnahme. Ich versuche Techno zu arbeiten. Also morgens in den Keller, abends raus und wieder normaler Mensch sein. Von den Clubs, in denen ich regelmäßig spiele, ist mir die Mainzer Kasematte, die Posse um Marburg/Giessen/Wetzlar ans Herz gewachsen und ich mag auch die Kasselaner sehr gerne. Aber auch alle anderen Städte, die ich besuche, überraschen mich und können mithalten. Als ich zum Beispiel letztens in Bamberg gespielt habe, hat die Luft gebrannt. Wer hätte das vorher gedacht?!
Wie bekommst du Familie und Auflegen unter einen Hut?
Sehr gut. Meine Frau kommt aus der Szene und kennt das DJ leben. Sie unterstützt mich, wo es auch nur geht und ist weit davon entfernt eine Zicke zu sein. Sie kann sich auf mich verlassen und lässt mir alle Freiheiten, die ich brauche um mein Ding durch zu ziehen. Nicht zuletzt habe ich das Privileg durch meine freie Zeiteinteilung die Erziehung meiner Tochter mitbestimmen zu können und beispielsweise den Mini-Club mit besuchen zu können - was jeder normal arbeitende Vater verpasst. Trotzdem sind so Touren über drei Tage hart - meist hauptsächlich für mich, weil ich schnell Sehnsucht nach meinen beiden Frauen bekomme.
Hast du dir jemals das Ziel gesetzt DJ zu werden?
Ja, als ich als 10 Jähriger mit meiner Klasse auf Freizeit war, haben die anderen ständig Prince, Madonna und Cameo hören wollen. Ich fand das damals extrem Panne. Da habe ich meinen Ghettoblaster an mich gerissen, alle fremden Kassetten verbannt und nur noch mein Kraftwerk/Neue Deutsche Welle/Depeche Mode Tape zugelassen. Da wollte ich dann DJ sein, bzw. ich habe da zum ersten mal bestimmt, was läuft. Ich stamme aber noch aus einer Zeit, wo es überhaupt nicht hip war, Musik aufzulegen. Ich war eher so der Depp, den man , weil er nicht tanzen konnte, hinter die Plattenteller gestellt hat. Das mittlerweile jeder DJ sein will und von Traumberuf gesprochen wird, hätte damals niemand gedacht.
Es ist bestimmt ein irre Gefühl, wenn viele Menschen zu deiner Musik tanzen. Kannst du mir dieses Gefühl beschreiben?
Das Gefühl ist nicht zu beschreiben. Es ist auch immer ganz unterschiedlich. Ob die Leute jubeln, weil man selbst einfach da ist, ob sie jubeln, weil man einen geilen track spielt, ob sie bei einem eigenen Track einfach nur weiter tanzen oder ob sie einen aus dem Club tragen, weil es so eine geile Nacht war. Es gibt aber sicher diese magischen Momente, wo es einem die Tränen in die Augen treibt, wo Gänsehaut die Arme und den Rücken hoch läuft. Das ist dann schon super. Komischerweise ist das aber eher in Situationen, die man vorher nie erwartet hätte. Schön ist es aber immer wieder und vielleicht doch das Salz in der Suppe…
Was war dein größtes Highlight des Jahres? Gab es einen Flop?
Flops gab es. Klar. Die zu nennen wäre aber nicht fair. Ich mein, wer war denn der Schuldige? Weiß man ja nie wirklich und dann jemand hier an den Pranger zu stellen… nee, nicht meine Art. Gute Partys gab es auch. Glücklicherweise war es dieses Jahr bisher so, dass bestimmt 80% der Termine weit über meinen Erwartungen lagen und nur vielleicht 3-5% in die Hose gingen. Der Rest war so mittelmäßig. Der Hessentag mit der Clubnight war wieder geil, mein Geburtstag im Cocoonclub super, meine Tour klasse, die Nächte im Zimmer, Ebene3 und Kasematte, Discofestival, …es gab zuviel cooles, um das in einem Interview alles aufzuschreiben. Nächste Woche lege ich in Barcelona auf. Mal sehen, was die Spanier für mich bereit halten! Ich werde da echt von Woche zu Woche geflasht.
Bei welchen Radiosendern hast du schon aufgelegt?
Ui… hrXXL/youfm/hrClubnight, Sunshine Live, RPR, unzählige kleine und Online Sender… auf meiner Homepage
www.ziel100.de gibt es eine „Referenz“ liste…
Legst du „nur“ auf oder bist du auch Produzent?
Ich produziere auch schon seit 1988. Mittlerweile hab ich mit „Zielscheiben“ mein eigenes Label und veröffentliche momentan recht viele Remixe. Da muss man auch einfach mal auf meiner Seite nachschauen oder einfach nur die Augen und Ohren offen halten. Gerade in nächster Zeit wird da sehr viel gutes kommen ;-)
Wo siehst du dich in 10 Jahren?
Geografisch in Frankfurt. Ich finde diese „Berlin-Flucht“ total langweilig und bin waschechter Lokalpatriot. Ich habe mir hier auch ein Haus gekauft und möchte meinen Kindern Kontinuität bieten. Außerdem brauche ich die räumliche Nähe zur Frankfurter Eintracht, zu meiner Familie und zu meinem gewohnten Umfeld. So ein grundloses umsiedeln nach Berlin, weil da „alle“ sind, käme für mich nicht in Frage. Mir fällt zum Thema immer dieses T-shirt ein, wo drauf steht „Wer ist eigentlich dieser Berlin!?“. Wenn das, was ich mache, immer noch die Leute auf die Tanzfläche lockt, werde ich - dann 43 jährig - auch noch auflegen. Wenn nicht, mache ich was anderes. So lange es aber geht, werde ich mein Ding und meine musikalische Idee voran bringen. Ich habe nicht vor, irgendwas zu bremsen. Im Gegenteil, ich bin für Vollgas!