Stadtauswahl:
Umkreis: 25 km
Berlin

🕘 Wörter: 2.323 • Lesedauer: ca. 6 Minuten

Deichkind im Telefoninterview

Deichkind zum Letzten: Nach der Festivalsaison beschlossen die hanseatischen Sitzriesen, noch einmal auf Tour zu gehen, um es dann, nach zwei Jahren ununterbrochen on the road to music, einfach mal wieder gut sein zu lassen. Und so geht, zum vorerst letzten Mal, die Version 3.0 ihrer durchgeknallten Dings auf die Ri-Ra-Reise. Und weil Ideen sowieso eine der besten Ideen der Menschheit sind, haben Deichkind noch einmal alles auf den Kopf gestellt und versprechen schon jetzt: „Wir hauen noch fester auf den Gong, aber wir haben den Gong neu modelliert! Die Leute erwartet ein völlig neues Spektakelatius, gebacken aus der 1000fach bewährten Deichkind-Masche, wildes Remmidemmi mit modernem Kunsttheater zu mendeln. Es wird aufwendiger und spektakulärer als je zuvor! Wir drehen am ganz großen Ruder, wir kloppen die größten Berge klein und dann knallen wir alles vor den Latz der Feiermeute. Und das sind nur die ersten 30 Sekunden der Show.“ Nun ja, wahrscheinlich wird’s trotzdem wieder wie immer: Lauter Lärm, irres Rumgehüpfe, Lagerfeuerromantik und jede Menge Phantom-der-Oper-Coverversionen. Also unbedingt hingehen, denn danach beginnt der Deichkind Entzug und wer weiß, wie langer dieser dauern wird. stadtleben.de hatte im Vorfeld zur anstehenden, vorerst letzten Tour, mit den Jungs am Telefon über die anstehende Tour, ihre Gefühle auf der Bühne und den Tod ihres Produzenten Sebastian Hackert, der im Alter von 32 Jahren Anfang diesen Jahres verstarb, sprechen können. Der Tod von Sebastian Hackert ist auch einer der Gründe für die bevorstehende Pause vom Projekt „Deichkind“. Interview: stadtleben.de: Erzählt mal ein bisschen was über die bevorstehende, vorerst letzte Tour, von Deichkind so kurz vor der Weihnachtszeit. Ist das auch mit einer gewissen Melancholie verbunden oder was sind das für Emotionen, die ihr bekommt? Deichkind: Wir haben ein turbulentes Jahr hinter uns und nach dem Schock über den Tod von Sebi (Sebastian Hackert) wollten wir erstmal garnicht mehr. Wir haben uns dann aber gesagt, lass uns das mal durchziehen, wir haben soviele treue Anhänger und auch wegen den bereits zugesagten Festivals. Da haben wir dann auch festgestellt, dass uns das echt gut getan hat wieder zusammen zu kommen, weil uns das ganze vorher ein bisschen auseinandergerissen hat. Wir haben gemerkt, dass wir auch wirklich alle weitermachen und wir dieses Jahr noch Mal voll durchziehen wollen, um uns dann im nächsten Jahr einfach bisschen aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen und um anzufangen wieder Musik zu machen. So plant Henning zum Beispiel für Februar 2010 ein Theaterstück über Deichkind zu machen und ich,Philipp, habe mich sehr mit Sebis Werk beschäftigt. Er hat ja auch viele Songs für andere Band wie Madsen, Jennifer Rostock, 5 Sterne Deluxe, Fettes Brot und an die 400 andere Gruppen gemischt und eine Combination daraus werde ich veröffentlichen. Wir versuchen das jetzt alles zu verarbeiten und denken, dass es wohl sinnvoll ist nächstes Jahr einfach einen Gang runterzuschalten, wieder ins Studio zu gehen oder sich auch wieder bisschen mehr um die Familie zu kümmern. Einfach um zu reflektieren, was im vergangenen Jahr so alles passiert ist. stadtleben.de: Wenn man über eure Musik spricht, die sich ja schwierig in Worte fassen lässt, gibt es einen Youtube-User der unter anderem schreibt : „Ich hasse solche Musik aber der Text ( von dem aktuellen Lied ) ist sau geil! Auf einer Party geht das mit Deichkind richtig ab, RESPEKT! Und das von jemandem der sonst nur Metal, Death und Hardcore hört, fühlt euch ganz dick gelobt.“ Deichkind: Das haben wir auch geschrieben! (lachen) stadtleben.de: Regional überschreitet ihr Grenzen, so seid ihr z.B. auch stellenweise in den USA bekannt, aber vor allem brecht ihr Grenzen in den verschiedenen Musikgenren. War das ein Ziel als ihr eure Arbeit begonnen habt? Deichkind: Wir sind ja aus diesem Hip-Hop Kontext auch ausgestiegen, weil wir eine relativ freie Musik machen und keine Musikart imitieren wollten, wie wir es damals gemacht haben. Wir wussten auch noch nicht in welche Richtung das geht, sondern wollten wir vor allem unsere Attitude in den Vordergrund stellen und nicht die Musikart. Klar ist das auch sehr wichtig die Frequenzen und das alles gut zu mischen und dass es auch ordentlich Bums hat. Wir wollten aber einfach keine Musik machen, die irgendetwas kopiert sondern, dass dahinter eine gewisse Attitude steht und wir denken, das ist auch der Grund warum uns so viele Metaler und Hip-Hoper cool finden. Einige sagen: Mensch, hey ich hab so eine Musik früher noch nie gehört, jetzt bin ich befreit von diesen Musikgenren. Die sagen dann, dass sie unsere Musik früher nicht wahrgenommen haben und jetzt richtig klasse finden. Klar, es gibt auch Leute, die sagen, dass sie uns früher richtig geil und jetzt aber scheiße finden, solche gibt es auch. Aber es geht mehr von denen, die das, was mir jetzt machen, interessant finden. Wir haben eben auch einfach mal Lust eine Heavy Metal oder Rock Nummer zu machen. stadtleben.de : Wir meinen, wenn ihr so über eure Musik sprecht, dann ist eines ganz klar im Vordergrund und zwar das Authentische. Wenn man über eure legendären Live-Auftritte, die immer sehr im Vordergrund stehen, redet, fragt man sich wie ihr es schafft dieses Pensum zu halten beziehungsweise woher bekommt ihren Ausgleich? Deichkind: Anfangs auf Festivals hatten wir so ungefähr 2 bis 3 solcher Auftritte und uns gedacht, dass wir niemals so eine ganze Tour schaffen würden und jetzt aber langsam merken wir, dass man dann irgendwann einfach trainiert ist und man dann irgendwann auch in so eine Art Trance reingerät und das ganze dann auch so 3 Wochen durchziehen kann. Es tut auch einfach gut was zu machen, unterwegs zu sein und die Resonanz von den Leuten und Fans zu erfahren, dadurch bleibt man am Ball. stadtleben.de : Nun mit Verlaub, wir möchte jetzt ja nicht behaupten, dass ihr unsportlich ausseht, aber vor kurzem haben wir auch mit Culcha Candela gesprochen und erzählt bekommen, dass sie immer ein bisschen Sport vor dem Auftritt am Abend machen. Ist das bei euch auch so oder macht ihr das ähnlich? Deichkind: Also an für sich haben wir da meistens andere Sachen zu tun oder sind auch einfach zu faul. Manchmal würden wir da gerne auch bisschen sportlicher sein, aber man kann nicht alles machen. stadtleben.de: Ihr habt es bereits angedeutet, eure Wurzeln liegen eigentlich beim, wir nennen es jetzt mal den „platten Deutsch-HipHop“, wenn man jetzt aber mittlerweile von eurer Musik spricht, redet man eher vom selbsternannten „TechRap“. Damals war es so, dass euch nicht alle Hip-Hoper auf eurem Weg unterstützt haben. Und nun habt ihr euch letztes Jahr mit Ferris MC aka "Ferris Hilton" wieder jemanden aus der Hip-Hop Szene hinzugeholt. Zeigt das auch, wo eure Wurzeln und langjährigen Freundschaften aus der Szene herkommen? Deichkind: Als unser Frontman Buddy damals ausgestiegen ist war auf jeden Fall klar, dass wir da wieder jemanden brauchen. Wir waren aber auch sehr verunsichert, wen wir da nehmen könnten, es waren zum Beispiel Materia oder Matthias Artmann im Gespräch. Im Boogie Park Studio in Hamburg haben wir dann mal Ferris getroffen und uns kam die Idee ihn zu fragen, ob er nicht Bock hätte bei uns mitzurappen. Er war sofort dabei und seitdem bringt er uns nun nochmal richtig nach vorne, ist ein echter Profi- pünktlich, immer am Start. Eigentlich genau das, was man nicht von ihm erwartet hätte ( Gelächter). stadtleben.de :Ihr habt vorhin erwähnt, dass ihr selber auch Familie habt. Du, Philipp, hast Frau und Kind und das ist ja auch etwas, was jeder nicht direkt preisgeben würde, sprich, sein Privatleben so offenzulegen. Ist es für dich denn so, dass du sagst, du hast zum einen da dein Privatleben und zum anderen so Momente wie jetzt, in denen du mit deinen Jungs ein Interview gibst und in denen ihr dann Deichkind seid? Deichkind: Ja doch so in ungefähr ist das eigentlich. Wir haben uns alle viele Gedanken darum gemacht, wie es nach dieser Hip-Hop Welt so weitergeht. Zum Beispiel waren wir ja zeitweise sehr bekannt, kamen in Zeitschriften wie der BRAVO vor, waren ja auch fast Top10 und haben jetzt aber angefangen uns zum Beispiel Masken aufzusetzen. Das zum einen vielleicht auch bisschen aus Schamgefühl am Anfang, so eine Art sanfte Scham, und dann haben wir aber auch festgestellt,dass das vielleicht auch garnicht so schlecht ist,wenn man solche Masken trägt und nicht so auffällig ist. Nach dem Auftritt nimmt man die Maske und die Schminke ab und kann sogar nochmal ins Publikum gehen und keiner erkennt einen. Und das ist mittlerweile so eine Art besonderes Privileg für uns geworden, allerdings ist das für Ferris schwieriger, da er mittlerweile schon in jedem Subway und Burger King erkannt wird. Ich, Philipp, kann in aller Ruhe meinen Burger bestellen und werde nicht erkannt, das ist, was mir daran gefällt. Zwar freut man sich natürlich, wenn man auch mal angesprochen wird, aber an für sich bin ich ganz froh, dass ich mich mittlerweile relativ frei bewegen kann. stadtleben.de: Um mal auf eure anstehende Tour zusprechen zu kommen, da habt ihr ja angekündigt, dass es einiges neues geben wird und noch mehr Remmi Demmi. Könnt ihr uns darüber noch ein bisschen mehr verraten? Deichkind: Ja, wir haben viel vorbereitet, viel gebastelt. Henning hat zum Beispiel bei eBay auch so Dinge wie Elefanten, Omniautos und Mofas zusammengesucht, die dann in irgendeiner Form vorkommen werden. Neue Musik, neue Choreographien und vieles mehr. Eine Show in der Form wird es vorerst zum letzten Mal geben, denn dann gibt es für uns erstmal eine Pause und wer weiß, was danach kommt. stadtleben.de: Was danach kommt weiß wohl keiner so genau, wahrscheinlich wisst ihr es selbst noch nicht,oder? Deichkind: Nein, wissen wir auch nicht. Wir würden gerne irgendwie weitermachen, aber was genau- keine Ahnung. stadtleben.de : Du Philipp hast ja selber schon gesagt, dass ihr erstmal so bisschen rumprobiert, beziehungsweise probierst du mit Sachen, die Sebastian damals gemacht hat, etwas aufzuarbeiten und um etwas „greifbares“ von ihm noch zu haben. Um das ganze nochmal auf eure Tour zu beziehen, wie ist das, wenn man auf der Bühne steht und einen Song wie „Luftbahn“, der ja doch stark etwas mit Sebastian zu tun hat, performt? Kriegt man diese emotionale Brücke gut hin, weil man ja auf der einen Seite eine gewohnt extravagante Show hinlegen soll, aber auf der anderen Seite der Song so tiefgehende Erinnerungen weckt? Deichkind: Zu Beginn hatten wir wirklich alle Muffensausen,ob wir das emotional geregelt bekommen, aber die ersten Male war es auch auf eine Weise sehr schön diesen Song zu performen und ihn dabei in Erinnerung zu behalten. Es hat uns allen gut getan, dass wir das so gemacht haben und nun ist es aber auch ebenso gut, dass wir uns die Zeit nehmen, das was passiert ist zu reflektieren und in uns zu gehen. Was man auch nicht vergessen darf ist, dass, wenn ein Mensch stirbt und man sehr traurig darüber ist, man aber auch sehr viele schöne Erlebnisse mit dieser Person gehabt hat. So denkt man nicht nur an die schlechten und traurigen Momente, sondern erinnert sich vor allem an die gute Zeit, die wir alle mit Sebastian hatten. Auch haben wir zum Beispiel eine Puppe gebastelt, die Sebis Jacke trägt, immer mit auf Tour und auf der Bühne dabei und die auch teilweise in die Show miteingebunden ist. Da kommen auf der Bühne dann natürlich auch Momente auf, die einem Nahe gehen, aber irgendwie muss das doch auch wiederrum sein, um es verarbeiten zu können, denn man kann nicht ewig davor weglaufen. stadtleben.de: Hattet ihr in diesem Zusammenhang auch schonmal einen Moment erlebt, in dem ihr das Gefühl hattet, sei es auf der Bühne oder vielleicht auch im privaten Leben, Sebastian auch noch nach seinem Tod richtig Nahe zu sein oder dass er vermeintlich gegenwärtig war? Deichkind: Der erste Auftritt nach seinem Tod, als wir die Puppe mit auf der Bühne hatten, war sehr emotional und traurig war. So ein Gefühl, ihn wahrhaftig immernoch in der Nähe zu spüren, hatten wir in dem Sinne aber noch nicht. Das könnte aber auch deshalb so sein, weil das ganze noch nicht so lange her ist und bis in einem Jahr oder länger könnten wir schon ganz andere Erfahrungen damit gesammelt haben. stadtleben.de : Wie seht ihr so den Wechsel generell in eurer Gruppe? Denkt ihr, dass die Tatsache, dass immer wieder Leute gegangen, neue hinzugekommen aber auch andere verstorben sind, dem Projekt Deichkind auch so eine Art Dynamik gibt und somit etwas Positives hat? Deichkind: Man kann schon sagen, dass wir Glück damit haben, dass Deichkind nicht von einzelnen Leuten abhängig ist. Deichkind hat immer als Idee und als Haltung existiert und kann deshalb von den verschiedensten Leuten durchgeführt werden. Der Vorteil ist also, dass wir, Deichkind, als eine Art Gesamtorganismus funktionieren und nicht als eine Truppe von Einzelpersonen. Durch neue Leute, die dazugekommen sind, kamen auch gleichzeitig neue Einflüsse hinzu, die spannend und wichtig waren und so unsere Gruppe immer wieder ganz automatisch in neue Bahnen gelenkt haben. Jeder, der sich in der Gesamtcrew einfindet und seinen Einfluss dazugibt ist wertvoll und das sollte auch so empfunden werden. stadtleben.de: Emotionen kochen bei so einer Tour immer wieder sehr hoch. Gab es einen Moment oder eine Aussage von einem Fan oder Konzertbesucher,an die ihr euch erinnert, die diese Emotionen, die da aufkommen, genau auf den Punkt treffen? Deichkind: Rocko Schamoni hat es mit dem Begriff „ Großkotzige Kleinkunst ganz gut getroffen, kann man sagen. stadtleben.de: Ein schöner Abschluss! Dann vielen Dank für das offene und ehrliche Interview, hat uns sehr gefreut!
Unterhaltung