Von Aischylos
Am mythischen Beginn der Welt sind die beiden Brüder Epimetheus, der Nachdenkende, und Prometheus, der Vordenkende, mit der Erschaffung der Lebewesen beauftragt. Epimetheus verteilt auf alle Lebewesen die guten und schlechten Eigenschaften so, dass sie gerecht und zum gegenseitigen Nutzen geteilt werden. Die kleinen Tiere sind zahlreich und flink, die großen sind stark und träge. Allein ein nacktes, unbeholfenes Lebewesen hatte er vergessen, als er alle lebendigen Eigenschaften schon verteilt hatte. Sein Bruder Prometheus bemerkt dieses und hat Mitleid mit dem schutzlosen Menschen. Er stiehlt von Hephaistos das Feuer, um ihn zu wärmen, und von Athene die Vernunft, um das Feuer nutzbar gebrauchen zu können. Dieser Diebstahl wird ihm von Zeus nicht verziehen. Prometheus wird zu unendlichen Qualen an den Felsen geschmiedet, wo ihm ein Adler jeden Tag die Leber wegfrisst, die, da er ein unsterblicher Gott ist, immer wieder nachwächst.
Aischylos bringt die Qualen des gefesselten Gottes und Menschenfreundes in einer der ersten Tragödien des Abendlandes auf das Theater. Mit der Promethie beginnt die lange Reise der Frage nach dem menschlichen Schicksal. Ist der Mensch wie Prometheus dazu verdammt, jede Erfindung mit Leiden zu bezahlen? Ist das unglückliche Bewusstsein unauflöslich mit dem menschlichen Können verquickt? Erzeugt jeder Fortschritt seine eigene Krise? Ist die Entwicklung von Technik, Kultur und Gesellschaft nur eine Steigerung der Qualen, die hierdurch erzeugt werden? Prometheus in Fesseln wird von zahlreichen Besuchern als Orakel und Mahnung befragt und jeder erhofft sich, Auskunft über sein eigenes Leben zu erhalten. Das christliche Abendland sah in Prometheus, den Liebling der Götter und hoch Bestraften, einen Vorläufer Christi. Er nahm alles Leid der Welt auf seine Schultern und wird zum Abbild des menschlichen Lebens. In der Moderne wird Prometheus zum Sinnbild der Krankheit zum Tode, durch die der Mensch bekanntlich nicht sterben kann, aber ein Leben als Toter führen muss.
Regie: Jossi Wieler
Bühne und Kostüme: Jens Kilian
Mit Ernst Stötzner, Thomas Bading, Grit Paulussen, Luise Wolfram und
Niels Bormann
"Wieler hat das alles in verhaltenem, kammerspielartigem Duktus sehr sorgfältig einstudieren lassen". (nachtkritik.de)
"Stötzners Prometheus hat für diesen Opportunisten denn auch nichts anderes übrig als Verachtung. Jeder Satz ein Schlag ins Gesicht des Okeanos, jede Sottise ein ,Schleich dich'. Und also schleicht er, der Weichling - natürlich ohne sich die Füße nass zu machen.
Mit derlei Charakterisierungen gelingt Wieler die Verknüpfung des Mythos mit der Moderne, ohne dass er gezielt aktualisieren müsste. Das Wort des Aischylos samt seinem Subtext hat Bestand, auch noch in der eigens für diese Inszenierung erstellten neuen Textfassung von Kurt Steinmann, der sowohl einige verbale Arabesken als auch die Figuren Obmacht und Zwang zum Opfer fallen (was aber kein großer Verlust ist), die aber die Essenz unangetastet lässt. Und es wird durch die Art des Dialogs belebt, dieses Wort.
Besonders schön ist das, wenn Hermes, der Götterbote, aus dem Schnürboden hinabgleitet. Auch er ein Angeketteter, gewissermaßen. Und für Prometheus genau der rechte Mann, um seine Aggressionen abzuarbeiten, sich in Rage zu reden und seine Ästhetik des Widerstands ein weiteres Mal zu proklamieren. Niels Bormann hat, nachdem er schon in seiner zweiten Rolle als leicht irre Inachos-Tochter Io brillierte, den dritten großen Auftritt. Herrlich, wie sich dieser Wurm windet mit Sätzen und Gesten, wie er mit den Füßen im Wasser herumtapst aus Angst, seine Schuhe könnten Schaden nehmen, und wie er schließlich furchtsam die Leiter hochklettert, um diesem Ort der Verdammung zu entkommen.
Prometheus hat hier seinen letzten Erfolg. Er weiß, er muss bleiben, Tausende von Jahren noch. Doch dieser Gefangene versinkt nicht. Er hält den Dampf, der auf ihn zustößt, aus. Natürlich aufrecht. Der Mythos lebt." (FR)
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